Sunday, February 28, 2010

Der Countdown läuft oder ich habe ihn eingeschaltet...

Ist es nicht ein wenig schade, jetzt schon fast täglich an die verbleibende Zeit in Bonaire zu denken? In immerhin 4 Wochen und 6 Tagen besteige ich die Maschine nach New York morgens gegen 5:40 Uhr, um irgendwann gegen 6:00 Uhr in meine Lieblingsstadt geflogen zu werden. Ich kann es kaum erwarten dorthin zu kommen. Weniger als 5 Wochen auf Bonaire ist für andere Menschen nicht einmal ihre verfügbare Jahresurlaubszeit! Doch wie alles andere im Leben, relativiert sich auch das Zeitgefühl mit dem Anlass und der persönlichen Situation. Bei knapp 7 Monaten auf diesem Stein 80km vor Caracas sind 4 Wochen schon ein Zeitraum, in dem man langsam die verbleibenden Tage mit gezielten Erlebnissen verplant und sich in Gedanken beginnt zu verabschieden.

Verabschieden ist ein gutes Stichwort. Von wem oder was verabschiedet man sich in wirklich? Oder wem oder was kehrt man nur den Rücken auf Zeit? Und von wem oder was verabschiedet man sich gern? Und das für wie lange?

Manchmal ertappe ich mich beim Grübeln über meine mich hier umgebenden Mitmenschen und ihre Geschichten. Welche Sorte Menschen trifft man in diesem Umfeld? Der Begriff Sorte klingt ein wenig herabwürdigend, soll er eigentlich nicht. Gemeinsamkeit wäre der bessere. Welche Gemeinsamkeiten haben Menschen in einer Existenz fern der Heimat in ewiger Sonne? Und welche lassen mich mit ihnen in dieses Szenario passen? Unwillkürlich versetze ich mich in so manch westlich orientierte Ansicht und sehe einige Menschen hier als Flüchtlinge aus einem "zu harten Leben" zuhause. Flüchtlingsdasein vor dem europäischen Wetter trifft auf viele sicher auch zu. Doch mehrfach erlebe ich Menschen - besonders männliche Leidgenossen - mit persönlichen Problemen, die ihnen den Zugang zu erwachsenen Beziehungen zu verwehren scheinen. Männer mit ausgeprägtem Drang, sich lautstark in ihrem Umfeld, durch ihre ganz eigenen Kommunikationsformen und teilweise stark betontem Ichbewusstsein behaupten zu müssen. Auf diese Weise können sie sich wohl erst wirklich wahrnehmen. Einige Hintergrundgeschichten bestätigen meinen Verdacht von einem vermeintlich nicht verarbeiteten Eindruck des Gescheitertseins. Dieses muss es noch nicht einmal sein. Doch anscheinend nehmen diese Zeitgenossen ihre Vergangenheit unbewusst so wahr. Oder weshalb sonst erleben sie hier aktiv ein solch Testosteron gesteuertes Auftrumpfen in der Öffenlichkeit?

Auf der anderen Seite sehe ich ein Leben fernab der heimischen Sicherheit als mutig an. Immerhin liegen sie nicht ein Leben lang in festen Jobhängematten mit Rentenversicherungen, diversen Boni und Firmenvergünstigungen, die ihnen auch noch die Selbstwahrnehmung bestätigen, ein großartiger Mitarbeiter in einer kaum schaffbaren Position eines mittelprächtigen Unternehmens zu sein. Hier wäre es mutig, auszusteigen und auf dem freien Markt sein Wissen zu verkaufen oder auf andere Weise seine Hängematte - seinen schützenden Kokon - gegen echte Aktivität einzutauschen.

Doch zurück nach Bonaire. Oft frage ich mich, welche Existenz die "wahre" ist, die für ein soziales Dasein in der Welt die richtige Lebensweise wäre. Ist es der ziellos umher wandernd scheinende Tauchlehrer, der jedem Schüler ganze Vorträge über den Schutz der Meere erzählt und selbst größtenteils die Finger von den Ressourcen lässt und sich von jeglichem sozialen Leben zurückgezogen hat? Der nie in einen Shoppingrausch und Besitztumsrausch verfällt, sondern nur sein Ding machen will - an paradiesischen Stränden dieser Erde - und seine Abende nie ohne mindestens 3 Joints vergehen lässt? Ist es der Tauchbaseninhaber, der mit Kursen und Touren für Touristen seine Existenz in der Fremde absichert und kaum andere Interessen zu haben scheint als Happy Hours, Sport auf lokalen TV-Kanälen, seine Haustiere und einen ruhigen Tag haben zu wollen? Oder ist es der Jobhopper, der von Ort zu Ort von Job zu Job - egal welche Branche - zieht und einfach nur leben und die Welt erleben will?

Eigentlich geht es nicht um DEN wahren Weg, sondern um den Weg für einen selbst. Leben und leben lassen sollte eines unserer Leitsätze sein, um uns von allein zu sozial denkenden und handelnden sowie zu urteilsfreien Menschen werden lässt. Warum nicht einfach seinen Weg gehen und dabei gute Kontakte für das Leben knüpfen? Der Weg ist das Ziel, denke ich....

Jedenfalls neigt sich mein Weg nach Bonaire dem Ende zu und das ist buchstäblich gut so. Den Countdown habe ich selbst eingeläutet zu genau dem Zeitpunkt meiner Ankunft nach meiner Reise nach Europa im Januar. Inzwischen langweilen mich allein der Gedanke an vermeintliche Happy Hour Treffen, die jeder Teilnehmer als Grund zum Speedbetrinken benutzt. Auch die Partynächte im Havanna in tropischer Atmosphäre mit Blick aufs mehr bieten nichts neues. Anton spielt seit Jahren schon die gleiche Songabfolge und bleibt damit erfolgreich. Er ist konkurrenzlos. HALT! Letzen Freitag war er waghalsig! Er hatte mindestens 5 andere Songs in seine DJ-Audioperformance eingeschleust und testete vorsichtig die allgemeine Resonanz. Kein Problem oder vielmehr kein Unterschied. Genauso hätte der die alte Leier abnudeln können :-)! Tja, in Bonaire gibt man sich schnell feierlustig und sieht die Musikauswahl nicht so eng. Nein, die Wahrheit ist, dass das Publikum durch wöchentlich wechselndem Touristenansturm gekennzeichnet ist. Antons gleichbleibende Musikauswahl fällt nur den Dauerinsulanern auf. Diese bleiben auch mal weg. Macht nichts. Die harte Währung kommt aus dem Touristenportemonnaie.

Alles in allem ist Bonaire ein nettes Island mit einer Erlebnispalette, die einen Zeitraum von 3 Monaten sehr gut füllen kann. Doch für mich mit nunmehr 5 Monaten und geplanten 6,5 Monaten auf dem Island wird es Zeit weiterzuziehen. Damit kann ich meinen New York Aufenthalt kaum abwarten und versuche nun, die verbleibenden Wochen mit übrig gebliebenden Dingen nachhaltig positiv wirkend auszufüllen. Das Tauchen gehört natürlich nicht zu diesen Dingen. Tauchen ist eine Leidenschaft, die ich sowieso bis zum Ende hier auskosten möchte. Doch der Countdown läuft: 4 Wochen und 6 Tage noch....

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