Thursday, January 21, 2010

Abflug – Abschied – Aufbruch

Es ist der 20. Januar 2010. Ich verbringe die letzte Nacht in meinem Studio, das Teil des Hamlet-Resort-Hauses ist, welches ich mir mit Andre und Willem seit Anfang Dezember geteilt habe. Petra, die mich für 3 Wochen besucht hat, bewohnt diesen Raum mit mir und verbringt nunmehr ebenfalls die letzte Nacht in diesem Haus in diesem Studio. Morgen fliegen wir beide nach Berlin zurück. Sie, weil ihr Urlaub leider schon zuende ist und ich,weil ich einen Auftrag in Düsseldorf auf der BOOT Messe zu erfüllen habe – den Messestand der Berliner Tauchzentrale zu repräsentieren. Nebenbei motivieren mich inzwischen darüber hinaus einige Kontaktmöglichkeiten für andere Aufträge aus der Tauchindustrie sowie der Wassersportindustrie im Allgemeinen als auch Möglichkeiten zur Entwicklung meiner neuen Existenz als Tauchlehrerin.

Neben besagten guten Gründen, inmitten des erwartet nasskalten europäischen Winters direkt aus denTropen in Deutschlands Minusgrade hinein zu fliegen, treiben mich natürlich auch Pflichten zurück an den Schreibtisch sowie ein Gefühl von wachsender inneren Unruhe resultierend aus meinen noch unförmigen Ideen einer mit Sinn erfüllten beruflichen Aufbauentwicklung, die diese jetzt umsetzbaren jedoch nicht neuen Bedürfnisse nach Unabhängigkeit und Freiheit gewinnbringend berücksichtigen werden. Alles in allem lasse ich mich Schritt für Schritt in ein vages Szenario von Möglichkeiten kontrolliert treiben, um aus absehbaren Perspektiven Folgeentscheidungen zu treffen.

In vier Monaten zeichnet sich nun der 3. Umzug ab und somit ein erneuter Abschied von Menschen – meinen Mitbewohnern – von einem schönen Platz – dem Hamlet Studio – in dem ich mich selbst nach den Diebstählen, die mir schmerzhafte Verluste eingebracht haben – noch wohnlich eingerichtet hatte – und damit von einer vertraut gewordenen Umgebung, in der ich täglich zuhause war. Selbst eine Katze konnten wir zu unseren täglichen Gästen zählen. Jeden Abend und später auch Morgen begrüßte uns der nachtschwarze Minipanther mit einem eindringlichen stakkatostylistsichen „Mieau!!!“, um uns unmittelbar zum Öffnen der Katzemfutterdose zu bewegen. Petra und ich ließen uns herzlich gern zu dankbaren Opfern umwandeln und folgten brav den emotional gefärbten Anweisungen der kleinen Luxusstreunerin.

Sympathische Begleiterscheingungen dieser Art werden von morgen früh an vorüber sein. Nach meiner Rückkehr nach Bonaire am 7. Februar ziehe ich bei Emma – einer meiner IDC-Mitbestreiterin - ein und belege ihre Schlafcouch im Wohnzimmer Ihrer 2-Zimmer-Wohnung bei den „Go-Apartments“. Für knappe 8 Wochen teilen wir uns ihre kleine Wohnung mit Zugang zum Palmengarten, was mir geringere Kosten und einen kürzeren Fahrweg bescheren und ihr die Freude über eine Temporärmitbewohnerin. Nachdem die Jungs und ich das Hamlet-Haus ohnehin Ende Februar hätten verlassen müssen, habe ich spontan Emmas Vorschlag angenommen, bei ihr den letzten Wochen auf Bonaire zu verbringen und gleich nach meinem Rückflug einzuziehen anstatt 3 Wochen später.

Wie ist es eigentlich dazu gekommen, dass ich eine solch lange Zeit auf Bonaire verbringen würde? Ursprünglich waren 3 Monate geplant. Daraus entstand ganz schnell der Plan für 6 Monate, was zu einigen Organisationsherausforderungen bezüglich Terminen, Flugverbindungen, Behörden, Airlines, Bekleidungsversorgungslogistik, Finanzplanungen sowie unzähligen Heimatabsprachen über ankommende Briefpost führte, die wiederum Planung und Prioritätenbildunge sowie Beantwortung erforderte, um ungewollte Folgeerscheinungen zu vermeiden.

Das 1. Ziel hieß einst schlicht die Teilnahme am IDC zu erreichen – eine Teilnahme zu akzeptablen Kosten. Als diese Stufe erreicht war, lag aller Fokus aus dem Bestehen der IE. Nach dem Erreichen dieser Stufe setzte eine enspannte Ruhe ein, die das Ordnen der Planungsgedanken aus einer dann realistischen Perspektive heraus zuließ. In der Zwischenzeit waren ja auch noch die Freundinnenbesuche ein zu kalkulieren und die damit einhergehene Verschiebung der Aufmerksamkeit auf Organisatorisches. Dennoch musste eine gewisse Grundorganisation erfolgen.

Nach der bestandenen IE ließ ich also Mitte Dezember auf mich zukommen, um zuerst die Verschiebung meines Fluges am 20.12. um einen Monat anzugehen. Ziel war, nicht vor der BOOT nach Deutschland zu fliegen und dort ohne verfügbare Wohnung 4 Wochen demotiviert in der Dunkelheit zu frieren. Sinnvoll wollte ich diese Zeit lieber in der Sonne mit dem Tauchen verbringen und von dort aus meine Berliner Aufträge erledigen. Deswegen hatte ich schon frühzeitig begonnen, nach Tipps und Tricks zu recherchieren, meinen offiziell auf 90 Tage begrenzt genehmigten Aufenthalt auf Bonaire zu verlängern sowie die nicht änderbare Flugverbindung nach Berlin zurück kostenfrei eben doch ändern zu können.

Um nun meine Flugverschiebung auf eine offizielle Basis stellen zu können, stand mir ein Bittgang zur Einwanderungsbehörde in Bonaire Downtown bevor. Lediglich 4 Wochen länger musste ich heraushandeln, um dann erst Ende Januar – jetzt – zurückfliegen zu können. Im bis zum gefühlten Gefrierpunkt herunterklimatisierten Warteraum, von dem 5 Schalter und eine Tür zum heiligen Gral abgingen, sitzen immer ca. 20-30 Personen aller denkbaren mittel- und südamerikanischen sowie afrokaribischen als auch holländischen Nationen, um ihren Aufenthaltsstatus, Steuerangelegenheiten, Führerscheinregistierungen, Grundbesitztumorganisationen und andere wichtige Dokumentabwicklungen eingetragen, angemeldet und abgestempelt zu bekommen. Damit das scheinbar kleine Chaos in legitimierte ordentliche Bahnen gebracht werden können, greift auch hier das in Deutschland altbekannte System des Nummernziehens! Unglaublich aber wahr! Die Bundesagentur für Arbeit würde sich alle zehn Finger nach dieser fortschrittlichen technischen Einrichtung lecken, die es via Touchscreen erlaubt, dass Nutzer ihren gewünschten Ansprechpartner zu dem gewünschten Thema der Behörde vorab per Fingerdruck auf die Scheibe auswählen und somit bereits eine themenbasiert spezielle Nummernart zugewiesen bekommen. Und das in der Südkaribik – ca. 80 km von Venezuela entfernt! Well, ich nehme an, dass Holland nicht ganz unschuldig an der Realisierung dieses Fortschritts ist. Denn Einheimische kennen sich besonders auf den Behörden gut und tauschen gern Neutigkeiten mit ihren Verwandten und Bekannten aus.

Jedenfalls erhalte ich irgendwann am Schalter - als meine Nummer endlich aufgerufen wurde und nachdem ich ca. 2h gewartet hatte und mein Blutkreislauf auf ein Minimum reduziert war, weil ich kurz vor dem Erfrierungstot stand, dass ich über meine Verlängerung mit dem Manager der Behörde sprechen müsste. Dieser weilt zu jenem Augenblick selbstverständlich nicht im Büro, wird aber jede Stunde zurückerwartet. Folglich hatte ich mich weiteren Wartemomenten in der Arktis zu stellen und entschied mich kurzerhand, dies vor der Tür zu tun - mit einem Auge auf meinen Infoschalter gerichtet, der mir unmittelbar Auskunft über die Ankunft des großen Gurus in seinem Gral erteilen sollte.

Warmer Sonnenschein legt sich auf meine Arme, Beine, Kopf, Körper und langsam beginnt mein Blut wieder schneller zu zirkulieren. Ich lebe noch! Nach weiteren gefühlten 5 Stunden rauscht ein wichtig aussehender mittelältlicher Bonaire-Beamter an mir vorbei und steuert zielsicher das Tor zum heiligen Gral an. Lässig winkt er einen vermutlich aus Peru oder Ecuador stammenden auf den Stuhlreihen brav wartenden Arbeiter zu sich heran, der durch den Laufwind des vorbeischwebenden Gurus in dessen Laufrichtung gesogen wird - hinein in den Gralschlund, dessen Tore nach Eintritt in ihre Schlösser fallen. Das musste er gerade gewesen sein! Hoffnung erfüllt mein geduldig wartendes Herz! GEspant verfolge ich die Szenen, die sich ab jetzt hinter dem Glas meines Infosschalters abspielen. Meine Kontaktperson nimmt die Beine in die Hand, um den großen Guru von meiner Gegenwart zu unterrichten, während dieser kurz das Schalterzimmer betritt, um einige Papiere zu besorgen. Kurz treffen sich unsere Blicke. Er hat mich registriert und verschwindet in seine heiligen Gemächer. Das Zeichen das mir meine Schalterbeamtin jetzt gibt, ist eindeutig: er hat Dich auf seiner Liste und Du bist nach seinem Gast die nächste, die mit ihm sprechen darf! Puuhh! Dieser Behördengang wird jetzt absehbar und ich richte meine Extremitäten wieder gen Sonne aus. Eine Erkältung wäre das Letzte, was ich während meiner bevorstehenden Tauchwochen auf Bonaire noch gebrauchten könnte.

Nur ein Jahr später sitze ich tatsächlich dem großen Chef der Einwanderungsbehörde gegenüber, der ja noch über viel mehr Dienstleistungen schwebt, als mir in dem Moment klar ist. Der Besprechungsraum ist wieder auf Antarktisklima herunter geheizt und mir wachsen binnen 30 Sekunden unter jedem Nasenloch je ein Eiszapfen. Indessen davon völlig unbeeindruckt höre ich die Stimme meines potentiellen Gönners ruhig und professionell fragen, wie er mir helfen könne. Mit vor Kälte zitternder Stimme und gespielter leichter Unterwürfigkeit tische ich ihm meine vorher durch überlegte Geschichte auf, dass ich mich auf der schönen Insel Bonaire aufhalte, um hier meine Tauchlehrerausbildung zu absolvieren und diese Kurse jedoch noch nicht zu Ende seien und ich deshalb noch weitere 4 Wochen an selbigem Platz verweilen möchte, jedoch meine Aufenthaltsgenehmigung am 20.12. ausläuft.

Er lässt sich meinen Pass zeigen, vergewissert sich meines Herkunftslandes und verlässt den Raum. Mit einem aufgeklappten Ordnerbuch in den Händen, in dem einige Lesezeichen eingelegt sind kehrt er zurück und setzt sich wieder auf seinen Platz mir gegenüber. Mehr an sich selbst gerichtet stellt der die Frage, wie lange eine Deutsche wie ich überhaupt auf Bonaire bleiben darf. 90 Tage sage ich ihm und er findet kurs darauf die Stelle in seiner Gralbibel, die ihm diese Information bestätigt. Wieder schaut er in meinen Reisepass. "Aber ich hätte doch gar kein Problem!" sagt er. "In meinem Einwanderungsstempel sei keine Aufenthaltsbegrenzung von 90 Tagen eingetragen worden." Somit könne ich einfach länger bleiben. "Bitte?" Ich erinnere ihn höflich daran, dass das Flughafenpersonal dies möglicherweise anders sehen würde bei meiner verspäteten Ausreise und ich mich sicherer fühlen würde mit einer offiziellen Genehmigung. Irgendwie musste er mir da zustimmen....

Somit begann der Gute nun, sich eingehender mit meiner Situation auseinanderzusetzen. Was ich hier machte, wie lange ich bleiben wollen, wovon ich lebte, wo ich wohnte usw. Ob ich nicht ein Wochenende nach Aruba fliegen könne und dann einfach wieder einreisen könne, wolle zuerst wissen. Ich deutete ihm, dass ich diese Finanzen nicht aufwenden wollte und könnte und eine Aufenthaltsgenehmigung bevorzugen würde. Diese Aussage lies ihn natürlich stutzig werden und er fragte besonders genau nach meinen Einkünften und Möglichkeiten, auf Bonaire überleben zu können. Auch ob ich im Shop Geld verdienen würde, musste er wissen. Brav vertuschte ich die Wahrheit und verneinte. Mit dem Verdienen von echtem Geld ohne Arbeitsgenehmigung musste ich als Praktikantin bei Div'Ocean ein wenig vorsichtig sein. Nach dem Sammeln all dieser Informationen schrieb Herr Boss mir eine Liste der Papiere auf, die er nun von mir brauchte: Kopien meiner Kreditkarten, damit legitimiert sein würde, dass ich in Bonaire niemandem auf der Tasche liege (Nach Kartensaldi fragte er nicht...), ein Beleg meines Rückfluges nach Europa, ein Schreiben meines Tauchlehrerausbilders mit dem Inhalt, dass ich noch mehr Zeit auf der Insel zu Ausbildungszwecken verbringen würde müssen, eine Kopie meiner Reisekrankenversicherung, die zeigte, dass sie auch für Bonaire gälte sowie eine Reisepasskopie, die er sich direkt selbst noch zieht. Wenn ich ihm diese Informationen brächte, würde ich den Stempel der gewünschten Verlängerung erhalten. Na, wenn das keine Hausaufgaben sind!

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